• "Ich denke selbst, um nicht von anderen gedacht zu werden."

Trochologie

Trochologie ist die Bezeichnung (vom griech. trochos = Folter) für eine im Entstehen begriffene Forschungsrichtung, die sich prinzipiell und interdisziplinär (historisch, soziologisch, juristisch) mit Foltermentalitäten und Foltermethoden befasst.

Spezielle folterkundliche (trochologische) Forschungen, die sich systematisch und umfassend mit Geschichte und Gegenwart der Tortur sowie mit Tätern und Opfern (auch im Hinblick auf Folgeschäden für künftige Generationen) befassten und beispielsweise wie die Friedens- und Konfliktforschung ein eigenes Forschungsgebiet eröffneten, fehlen bis heute.

Ziel einer solchen Trochologie ist zum einen die ungeschminkte Darstellung der noch bis in die Gegenwart hineinreichenden realen Foltervorgänge, zum anderen die Herstellung von Öffentlichkeit als der effektivsten Methode, künftige Foltervorgänge zu unterbinden. Damit unterstützt die Trochologie die Bemühungen nicht nur einzelner Staaten, sondern auch die Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen wie amnesty international.

Mögliche interdisziplinär anzugehende Themen sind unter anderem die Erforschung von Foltermentalitäten und Folterpsychologien (Faktoren, die gesellschaftlich wie individuell Foltern ermöglichen), die Aufdeckung von staatlich, institutionell oder individuell geduldeten, ermöglichten oder angeordneten wie durchgeführten Folterhandlungen, die Darstellung der in Geschichte und Gegenwart praktizierten Foltermethoden, die Aufarbeitung möglicher neuer Methoden (z. B. die sogenannte Datenfolter, die Dauerüberwachung, -kontrolle und -fixierung von möglichst vielen "auffälligen" Menschen), die Beschäftigung mit den Folterfolgen (Traumatisierung, Diskriminierung, Verlust des Selbstwertgefühls)), mit Folteropfern und den entsprechenden Netzwerken und Behandlungszentren (Rehabilitation), mit institutionalisierten Folterschulen (Densensibilisierung möglicher Täter) und förmlichen Folterindustrien (mit eigenen Märkten).

Brauchen wir eine solche neue Wissenschaft? Uneingeschränkt Ja: Die Illusion, Folter als ein historisches Phänomen zu betrachten, schläfert das Gewissen ein und mindert die Wachsamkeit. Trochologie als eigenständige Forschungsdisziplin öffnet die Augen für die Details der Martermethoden und -maschinen: Die Fähigkeit und die erklärte Bereitschaft zu foltern und hinzurichten, unterscheiden den Menschen von den anderen Lebewesen auf diesem Planeten. Es findet sich keine Ideologie, kein Werkzeug, die sich nicht zum Foltern und Töten hätten verwenden lassen. Und der Körper des Menschen kennt kein Glied, für das kein Foltergerät erfunden und benutzt worden wäre. "Ganz gewöhnliche" Menschen und damit Mehrheiten haben zum Beleg ihrer Gehorsamsbereitschaft gegen Autoritäten und deren angeblich nationale, weltanschauliche und religiöse Gründe immer gefoltert und hingerichtet; viele andere haben zugeschaut ("Zuschauermehrheit"). Das 20. Jahrhundert jedoch, das mehr Opfer als alle vorangegangenen zusammen forderte, muss bis auf weiteres als das blutigste und voyeuristischste von allen gelten.

So genannte Moralinstanzen (zumindest Teile von Kirche, Staat, Polizei, Justiz, Wissenschaft) sind weithin desavouiert; sie weisen, nicht nur historisch, in vielen Ländern der Welt verderbte Köpfe und blutige Hände auf. Die Maschinerie der Martern ist kein Ergebnis eines irrationalen ("Hexen"-) Wahns, sie wird bewusst und gewollt geplant, organisiert, perfektioniert.

Foltermentalitäten äußern sich bei jenen zumeist unter Konformitätsdruck stehenden Menschen, die andere aufgrund von Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder Nationalität von vornherein für rangniedrig und zweitklassig halten und nichts dagegen haben, solche "Untermenschen" wie schädliche Tiere zu bestrafen, ja zu vernichten. Diese Mentalität lässt sich entgegen einer verbreiteten Meinung nicht auf isolierbare "Außenseiter" eingrenzen; sie ist keine Angelegenheit bloßer Minderheiten, sondern gründet in der fast allgemein anzutreffenden fremden- und abweichlerfeindlichen Haltung einer Gesellschaft. Das polizeilich, staatsanwaltschaftlich, gerichtlich kaum zu fassende Potential an Folter- und Tötungsbereitschaft ist bei passender Gelegenheit (Progrom-Stimmung) zu mobilisieren. Menschen handeln fürchterlich, weil sie lieber gefürchtet werden, als sich selber fürchten zu müssen.

Wissen über Geschehenes und Geschehendes, Sensibilität für die Leiden der (potentiellen) Opfer und Scham über die historischen und aktuellen Zustände (als revolutionäres Gefühl) sind weitaus seltener anzutreffen und ungleich schwieriger zu vermitteln oder zu stärken. Trochologie, verdient sie ihren Namen, muss dieses Wissen, diese Sensibilität stärken.